Wer holt mich hier raus?
Wer holt mich hier raus?8 Jahre ist es nun schon her. Vor 8 Jahren hat sie sich entschieden. Für ihren Mann und eine Familie. Doch so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Der Traum (fast) aller Männer: Wir bauen ein Haus. Kein Problem für sie.
Doch dann stellte sich die nächste Frage. Wo??? Der Mann ein Landei, mit Landwirtschaft groß geworden und im Dorf integriert. Sie hingegen aus der Stadt, gewohnt, ohne Auto auszukommen und trotzdem alles erreichen und erledigen zu können. Doch der Mann hat das Geld. Und das Grundstück liegt für Kinder ideal und auch schön. Schön ruhig.
Heute liegt es ihr zu ruhig. Außer dem Zwitschern der Vögel, spielenden Kindern oder mal einem bellenden Hund, hört sie hier nichts.
Wenn sie im Sommer das Fenster offen hat und die Onkelz hört, weiß dass gleich das ganze Dorf. Und die Kirche, die gerade auf der anderen Straßenseite ist, hat sie noch nie betreten.
Ja, sie haben das Haus in einem Dorf gebaut, in dem man nicht einmal Brötchen, Butter oder eine Zeitung bekommt. Ohne Auto ist sie hier ein Nichts. Und bis zur nächsten Stadt sind es 10 km. Aber sie hat es aus Liebe getan.
Und heute steht sie morgens vor dem Spiegel und fragt sich, wer sie da eigentlich anschaut? Denn trotz Kindern, Katzen und Mann wird sie hier nie dazu gehören. Die Kleinen gehen in den Kindergarten. Doch sie wollte einen Montessorikindergarten und den gibt es im Dorf nicht.
Also fährt sie täglich viermal die 10 km in die Stadt. Der Große besucht eine Ganztagesschule. Auf dem Dorf Fehlanzeige. Doch bis er Unterrichtsende hat- und dies ist um 16.00Uhr- fährt kein Bus mehr ins Dorf. Also fährt sie erneut los, um den Ältesten abzuholen.
Manchmal denkt sie an die Zeit, als sie noch in der Stadt lebte. Wie einfach alles war. Und ihr Mann, der diese dörfliche Idylle wollte, hat einen neuen Job angenommen und kommt meist erst gegen 20.00 Uhr nach Hause.
Heute scheint die Sonne. Der Blick aus dem Fenster, seit 8 Jahren gleich. Sie geht in die Küche und holt sich einen Kaffee. Die Kids hat sie schon weggebracht. Der Haushalt wartet. Und während sie, wie jeden Tag kocht, putzt, wäscht und bügelt, wird die Stimme in ihr jeden Tag ein bißchen lauter. Wer holt mich hier raus? Wer erweckt mich von den Toten und führt mich zu den Lebenden?
Ihre Familie verlassen? Nein, das würde sie nie tun. Doch der Wunsch nach Freiheit steckt mehr und mehr in ihrem Herzen. Und langsam aber sicher macht er sich breit. Und er verdrängt den Menschen, der seit Jahren den größten Platz einnimmt: Ihren Mann.
Was haben sie sich noch zu sagen? Sie redet, er schläft. Ist müde von der vielen Arbeit. Und sie provoziert. So lange bis sie streiten. Wegen Kleinigkeiten. Aber irgendwie braucht sie das. Ihm tut das weh. Und sie gibt damit ein wenig von dem Schmerz, den sie seit 8 Jahren in sich trägt, an ihn zurück. Er hat es eigentlich nicht verdient. Er schuftet nur für die Familie. Doch sie kann nicht anders. Sie fühlt sich einfach nur tot. Sie will zurück in die Stadt. Sie will das Leben spüren. Und immer wieder stellt sie sich die Frage:
Wer holt mich hier raus???