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Pesto und getragene Socken - Kapitel1

Pesto und getragene Socken

Kapitel 1


Plötzlich fiel die Tür ins Schloss. Der Knall war im ganzen Viertel zu hören.
Elke hob ihren Kopf. Sie saß auf dem Boden im Schlafzimmer, hatte den Kopf zwischen die angezogenen Knie gesteckt und hielt sich mit den Händen die Ohren zu. Doch nun hob sie den Kopf. Paul. Wo war Paul? Elke lief durch die ganze Wohnung. Sie ging in jedes Zimmer. Aber die Wohnung war leer. In ihr stieg ein komisches Gefühl auf. Er war weg. Einerseits war sie froh. Denn so einen schlimmen Streit hatten die Beiden in all den Jahren noch nie gehabt. Anderseits fragte sie sich, wo er sei und ob und wann er wieder kommen würde.

Langsam ging Elke in die Küche und setzte sich an den Tisch. Sie zündete sich eine Zigarette an und begann zu weinen.
Es kam alles in ihr hoch und musste nun raus. Eine Lappalie war es eigentlich gewesen. Paul hatte die falsche Pesto mitgebracht und er wusste doch, dass Elke in diesen Sachen extrem pingelig war. Und dann kam immer mehr auf den Tisch und aus dieser kleinen Sache entwickelte sich eine riesen große. Und dass man in so vielen Jahren einige Differenzen hatte, ist wohl jedem klar.
Dennoch hörte Elke noch immer diesen Knall, als Paul beim gehen die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Würde es je wieder so werden, wie es war? Elke ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche Korn raus. Sie trank eigentlich gar keinen Alkohol. Doch nun verspürte sie einen unbändigen Drang nach einem Schluck Schnaps. Elke setzte die Flasche direkt an. Sie war kein Freund von Gläsern. Sie nahm einen großen Schluck aus der Buddel und als sie ihn unten hatte, begann sie erst einmal zu husten. Also musste erneut ein großer Schluck die Kehle hinunter gespült werden.

Mit der Flasche in der Hand ging Elke durch die leere Wohnung. Wo sie auch hin sah, alles erinnerte sie an Paul. Wie sie gemeinsam die Farben für die Wohnung ausgesucht hatten und wie sie beim Streichen das Gefühl hatte, ihr Arm würde abbrechen. Jedes Bild, jedes Dekorstück hatte seine eigene Geschichte. Und Elke erinnerte sich plötzlich an jede einzelne, als sei es erst gestern gewesen.


Da war die fast einen Meter große Freiheitsstatue, die im Wohnzimmer stand und die Paul von einer Geschäftsreise aus den Staaten mitgebracht hatte. Auch wegen ihr waren damals die Fetzten geflogen. Elke wollte dieses Teil nicht im Wohnzimmer haben. Wochenlang wechselte die Dame immer wieder ihren Standort, bis sie schließlich doch im Wohnzimmer landete, weil sie dort einfach am Wenigsten störte.

Elke ging ins Bad um sich ihr verweintes Gesicht zu waschen. Pauls Socken lagen vor der Waschmaschine. Wie immer, dachte Elke. Immer schmeißst er seine Klamotten vor die Waschmaschine. Dabei steht eine Wäschetonne genau daneben. Erneut stieg Groll in ihr hoch.
Warum sind wir eigentlich noch zusammen, fragte sie sich, als sie in den Spiegel sah? Ist das wirklich noch Liebe? Ist es Gewohnheit? Oder doch nur Bequemlichkeit? Angst, vor einem neuen, einem anderen Leben?

Elke und Paul kannten sich schon aus dem Sandkasten. Die Eltern waren seit Jahren befreundet und die Freude war riesengroß, als die beiden ein Paar wurden. Die Familien hatten sie immer unterstützt. Alles war eben heile Welt. Alles? Wo waren Elkes Träume geblieben? Und wo die von Paul? Hatte er überhaupt noch Träume? Und wenn ja, wie sahen die aus? Elke wusste auf all diese Fragen keine Antwort. Sie merkte, dass sie seit Jahren ein eingespieltes Team waren. Ein Team, das überwiegend gut funktionierte. Doch ein Team zu sein,  war Elke nicht genug. Sie war auf dem besten Wege, 30 zu werden. Und sie hatte doch noch so viele Dinge vor. Sie wollte immer ein kleines Häuschen haben. Und auch Kinder wollte sie. Warum waren diese Wünsche in so weite Ferne gerückt? Paul wollte Karriere machen. Und das verlangte er auch von ihr. Schließlich müsse er eine Frau haben, die er auch vorzeigen kann und die etwas im Kopf hat.
Viele Jahre versuchte Elke all seine Wünsche zu verstehen. Doch wer verstand sie? Hatte Paul in letzter Zeit einmal gefragt, wie es ihr geht? Wie es im Job läuft? Er hatte doch gewusst, dass zum Jahreswechsel der Chef in den Ruhestand ging und Elke mit dem Nachfolger nicht ganz klar kam. Das wird schon werden, hatte Paul nur immer gesagt. Du musst da durch. Aufgeben ist etwas für Schwache.
Vielleicht wäre Elke gerne auch mal schwach gewesen. Vielleicht hätte sie gerne den Job gewechselt oder eine Familie gegründet. Doch Paul interessierte sich nicht dafür.

Noch immer stand Elke im Bad und sah in den Spiegel. Sie sah ihr Gesicht plötzlich mit völlig anderen Augen. Die ersten Fältchen um die Augen kamen zum Vorschein. Und ihr Haar. Als Teenie hatte sie alle möglichen Farben ausprobiert. Schwarz hatte ihr immer am Besten gefallen. Doch auch hier hatte sie immer wieder auf Paul gehört. Er fand diese Farbe zu düster und Elke hörte auf, sich die Haare zu färben. Sie ließ sie auch seinen Wunsch hin wachsen. Die Friseurin hatte sie immer wieder von einem trendigen Kurzhaarschnitt überzeugen wollen. Elkes Gesicht war gerade zu geschaffen dafür. Doch Elke behielt ihre langen Haare. Bis heute. Bis jetzt. Doch genau jetzt in diesem Moment hatte sie genug.

Wie von einer Tarantel gestochen lief Elke aus dem Bad. Sie nahm ihre Tasche und ihre Jacke, schlüpfte in ihre Highheels und stöckelte zu ihrem Auto. Noch während der Fahrt telefonierte sie mit ihrer Friseurin und überzeugte sie davon, unbedingt noch heute und zwar jetzt sofort einen Termin haben zu müssen. Tina willigte schließlich ein. Auf dem Weg in ihr neues Leben hielt Elke noch vor einem Jeansladen. Wie lange hatte sie keine Jeans mehr getragen. Sie wusste noch nicht einmal ihre Größe. Doch die Dame in dem Store war sehr freundlich. Schon nach 15 Minuten eilte Elke mit mehren Tüten in den Händen wieder zu ihrem Auto. Sie hatte sich nicht nur Jeans in verschiedenen Styles, sondern auch Shirts, Stiefel und eine Lederjacke gekauft. Elke fühlte sich bereits um Jahre jünger, als sie schließlich beim Friseur ankam.

Dann durfte Tina ran und endlich zeigen, was sie schon seit Jahren an Elkes Kopf machen wollte. Tina begann mit einem Funkeln in den Augen. Das Haar wurde gewaschen und geschnitten. Dann wieder getrocknet. Es wurde in verschiedenen Nuancen  gefärbt und bekam nach dem Auswaschen der Farbe noch eine Kur-Packung drauf, um eine Austrocknung zu verhindern.
Während Elke mit geschlossenen Augen in dem etwas unbequemen Friseurbecken lag, zupfte Tina noch die Augenbrauen und färbte die Wimpern. Sie massierte leicht Elkes Gesicht und begann mit einer Make-up-Grundierung. Nachdem die Haare gefönt und gestylt waren, vollendete Tina das Make-up durch Wimpertusche, Lippenstift, Puder etc. und nach ca. zwei Stunden erkannte Elke ihr eigenes Spiegelbild nicht wieder. Das Kunstwerk war vollendet, nachdem Elke sich auf der Damentoilette des Salons in Jeans und Lederjacke geworfen hatte.

Elke schaute in den Spiegel. Ja, das war wieder sie. Das war die Frau, die sie sein wollte und nicht das Wunschmodell, das ihr Freund im Laufe der Jahre konstruiert hatte. Elke strahlte. Nun war sie bereit für ihr neues Leben.

Nachdem Elke ihre EC-Karte zum Glühen gebracht hatte, machte sie sich auf den Weg zu einem Autohändler. Schon lange wünschte sie sich einen kleinen Flitzer, der nicht nur sparsam im Verbrauch, sondern auch stadttüchtig war. Es musste definitiv kein Neuwagen sein. Aber eine gewisse Vorstellung von ihrem neuen Vehikel hatte Elke dennoch. Schwarz sollte es sein, gerne mit Lederausstattung und bitte keinen Automatikwagen. Dafür gerne etwas mehr PS und ein Faltschiebedach wäre auch nicht zu verachten. Elke hatte genau so einen Flitzer bei einem Gebrauchtwagenhändler gesehen. War zwar schon zwei bis drei Monate her, aber vielleicht hatte sie ja Glück.

Beim Händler angekommen, ging Elke geradewegs auf ihren Traumwagen zu. Sie hatte Glück, er war noch nicht verkauft. Und bis sie ihn sich richtig angesehen hatte, stand auch schon ein Verkäufer neben ihr. Wer jetzt denkt, Elke würde sich über den Tisch ziehen und sich einen Schrottwagen andrehen lassen, dem sei gesagt, dass Elke in einer Kfz-Mechaniker-Familie aufwuchs und man ihr, wenn es um Autos ging, nichts vormachen konnte. Dennoch gab sie ihr Wissen gegenüber dem Verkäufer nicht sofort preis. Nein, sie benahm sich zunächst, wie ein Mann es von einer Frau erwartete und gab die Unwissende. Sie ließ sich für ihren Wagen ein Angebot erstellen und merkte dabei recht schnell, dass sie es hier nicht mit einem seriösen Geschäftsmann zu tun hatte.
Elke wusste genau, wie viel ihr alter Wagen noch wert war. Und sie war nicht bereit, mit dem Preis runter zu gehen. Eigentlich wäre es ein Tauschgeschäft gewesen. Sportwagen gegen Stadtflitzer. Doch der Verkäufer hatte angeblich Mängel an ihrem Auto bemerkt. Elke blieb stur.
Einmal tauschen bitte, sagte sie. Oder ich behalte, was ich habe. Und irgendwo in dieser Stadt würde es ein Autohaus geben, das sich auf den Tausch einlassen würde.
Nachdem der Verkäufer nicht einlenkte, kehrte Elke ihm den Rücken und ging wieder zurück zu ihrem Auto. Sie war schon eingestiegen und wollte mit etwas gesunkener Laune losfahren, als ein Mann mit schnellen Schritten über den Hof zu ihr eilte.
Elke lies die Scheibe ihres Wagens runter. Es war der Geschäftsführer des Autohauses. Er entschuldigte sich für seinen  Mitarbeiter und bat Elke hinein. Elkes Selbstbewusstsein  stieg wieder an. Ganz entspannt folgte sie dem Angebot des Geschäftsführers, der sich als Herr Jansen vorstellte. Bei einer Tasse Kaffee und Gebäck wurden sich die beiden schließlich einig. Lediglich die Zulassungskosten hatte Elke zu tragen. Und da Spontanität  seit heute ihr zweiter Vorname war, rief sie noch vom Autohaus bei der Zulassungsstelle an. Wieder hatte sie Glück. Ihr Wunschkennzeichen war frei und die Zulassungsstelle hatte noch zwei Stunden offen. Der nächste Anruf war ihrer Versicherung. Sie gab die neuen Daten durch und bat, die Doppelkarte direkt an die Zulassungsstelle zu  mailen. Auch dies wurde ihr für die nächste halbe Stunde zugesagt. Elke war glücklich. In Windeseile räumte sie ihr Auto aus. Gott sei Dank hatte sie immer Transportboxen in ihrem Kofferraum. Alles passte hinein. Parkscheibe, Warndreieck, Verbandskasten, DC´s und auch ihre Tasche mit Ersatzkleidung, sowie ihre Tageseinkäufe.
Der Kofferraum ihres “Neuen” war größer und Elke packte fleißig um. Mit geliehenem roten Kennzeichen fuhr sie zur Zulassungsstelle. Eine halbe Stunde später war ihr Flitzer startklar. Als sie die roten Kennzeichen zurück brachte, bekam sie noch einen Gutschein für eine komplette Autoreinigung überreicht. Das Autohaus hatte dies in der kurzen Zeit nicht mehr geschafft. Elke freute sich über diesen Gutschein. Ihr reichte jedoch der augenblickliche Zustand des Wagens. Mit einem Lächeln auf den Lippen brausste Elke schließlich vom Hof.

Nun wollte Elke Party machen? Doch mir wem?  Wie lange war sie nicht mehr ohne Paul aus gewesen. Und diese Anlässe bedeuteten meist Geschäftsessen in unbequemen Kleidern und mit unglaublich vornehmen Leuten, von denen Elke nicht besonders viel hielt.
Während sie noch über das Abendprogramm nachdachte, war sie ganz automatisch nach Hause gefahren. Erst als sie den Zündschlüssel zog, wurde ihr klar, dass sie nun zurückkehrte. In diese Wohnung. Ob sie noch leer war? Ob Paul zwischenzeitlich wieder gekommen war? Und wenn ja, wie würde es wohl nun mit den beiden laufen?? Wie würde er auf ihr neues Ich reagieren? Würde der Streit weiter gehen? Elke bekam Angst.
Nach Stunden des Verdrängens fiel er ihr plötzlich wieder ein. Und auch der Streit, den die Beiden gehabt hatten und der schließlich zum Auslöser für Elkes Verwandlung geworden war.
Es half nichts. Sie musste diesen Gang gehen. Pauls Auto stand nicht in der Garage. War es eigentlich da, als sie weggefahren war? Elke erinnerte sich nicht mehr daran. Sie war wohl zu durcheinander gewesen.

Langsam ging sie die Treppe hoch. Stufe um Stufe. Der alte Dielenboden quietschte unter ihren Füßen. Nur ihr Herzschlag übertönte dieses Quietschen. Oben angekommen, setzte sie sich auf eine Stufe. Sie musste nachdenken. Ihre nächsten Schritte planen. Doch wie sollten diese aussehen? Wie sollte ihr Leben weiter gehen? Sie konnte und wollte nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und Paul war mit ihren Veränderungen bestimmt nicht einverstanden.
Zaghaft schloss Elke die Tür auf. Doch die Wohnung war totenstill. Langsam ging sie durch alle Zimmer. Jedoch keine Spur von Paul. Und so wie es aussah, hatte er die Wohnung seit dem Streit nicht mehr betreten. Elke war erleichtert. Fürs Erste. Sie setzte sich an den Küchentisch und zündete sich eine Zigarette an. Noch einmal ließ sie den Tag Revue passieren. Plötzlich liefen ihr Tränen über ihre Wangen. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Stärke waren wie weggeblasen. Warum war er noch nicht da gewesen? Warum ist ihm noch nicht einmal aufgefallen, dass sie weg war?

Das Handy. Wo hatte sie eigentlich ihr Handy? Elke schüttete ihre Tasche auf den Boden. Zwischen Terminplaner, Kuli, Einkaufsliste, Kosmetikbeutel und leerer Zigarettenschachtel polterte es auf den Boden. Und es war aus. Sie musste es in ihrer Wut ausgemacht haben. Und nun wollte es nicht angehen. Immer wieder drückte sie auf den Knopf. Aber das alles dauerte eine Ewigkeit. Und dann, als sie endlich den Pin eingegeben hatte, suchte dieses lahme Ding auch noch ewig nach Netz. Elke räumte zwischenzeitlich ihre Tasche wieder ein. Nun ja, sie warf einfach alles hinein. Es hatte auch alles und noch einiges mehr Platz darin. Es kam keine Nachricht. Paul schien ihr nicht geschrieben zu haben. Auch keine Sprachnachricht war drauf. Der Laptop. Vielleicht war er ja ins Büro gefahren? Mit dem Handy in der Hand stürmte Elke ins Schlafzimmer. Hier hatte sie ihren Laptop stehen. Doch auch in ihrem Postfach war gähnende Leere. Sollte sie sich nun Sorgen machen, oder einen Wutanfall bekommen? War sie vielleicht übers Ziel hinausgeschossen? Wegen einem Glas Pesto. Nein, sie war sich in den letzten Stunden darüber klar geworden, dass es so nicht weiter gehen kann und wird. Und sie würde sich nun von Paul kein schlechtes Gewissen machen lassen. Der würde schon kommen.

Elke räumte die Wohnung auf. Der Streit war wohl doch intensiver, als sie ihn in Erinnerung hatte. 30 Minuten später war sie fertig und blickte beim Hände waschen in den Spiegel. Ihr gefiel ihr neues Ich. Sie bereute es nicht. Endlich war eine große Last von ihr gefallen. Elke beschloss, allein raus zu gehen. Schließlich war in der Stadt immer was los. Und sie musste diese Energie ausleben. Ein letzter Blick auf den Laptop und das Handy. Nichts. Dann eben nicht. Elke nahm ihre Tasche und ihren Schlüssel. Sie löschte das Licht und sie ging. Hinaus in die Stadt. Hinaus in das Leben.

Fortsetzung folgt.....



 
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